Zum Inhalt springen

Wahrheitsdividende (5) – Ein Blick auf die Führung

Wahrhaftigkeit hat nie – so der klassische Artikel von Hannah Arendt – zu den politischen Tugenden gehört. Unternehmensführung hat bekanntlich diverse politische Aspekte. Daher haben Erläuterungen über Unehrlichkeit in der Politik auch für Unternehmen hohe Relevanz:

  • In der Wirtschaft wie in der Politik geht es in hohem Maße um Veränderung. Wandel setzt aber voraus, dass wir uns von Bestehendem frei machen können. Auf diese Weise sind die bewusste Ausblendung des Bestehenden und Zukunftsgestaltung eng miteinander verbunden. Schlüssige Visionen gelingen besser, wenn man es mit den Fakten nicht so genau nimmt
  • In Wirtschaft und Politik geht es oft um Meinungen – und weniger um Fakten. Meinungen kann man debattieren, Fakten nicht. Fakten sind ein Debattenkiller und werden daher oft bewusst ignoriert
  • Modelle und Planungstechniken machen – in Politik und Wirtschaft – die Komplexität der Wirklichkeit handhabbar. Modelle tendieren aber oft zur Faktenvernachlässigung, weil viele Fakten in die zwangsläufig vereinfachenden Modellkontexte nicht hineinpassen
  • Last but not least spielt Selbsttäuschung in Politik und Wirtschaft eine immense Rolle. Um Visionen zu verwirklichen, agieren Politiker und Unternehmensführer oft so, als existiere die schöne neue Wirklichkeit bereits – ob bewusst oder unbewusst

Macht korrumpiert

Das Wesen der Unternehmensführung scheint also Unehrlichkeit zu begünstigen. Und in der Tat wird dies durch die Realität bestätigt. Carol Kinsey Goman hält aus den Rückläufern ihrer Fragebogenaktion fest, dass gut 2/3 der Probanden der Top-Führungsebene ihres Unternehmens Lügen vorhalten – vor allem:

  • Verschweigen von unangenehmen Wahrheiten, z.B. von Fusionentscheidungen, die zu Arbeitsplatzverlusten führen könnten, sowie
  • Schönreden der Unternehmenssituation
Macht korrumpiert – und absolute Macht korrumpiert absolutSprichwort

Dieses Sprichwort gibt zu denken. Und in der Tat verfügen wir über diverse Hinweise, dass Macht Unehrlichkeit in Organisationen begünstigt. Auch Experimentalstudien unterstützen diese Vermutung. Und: Je höher die Machtausstattung, umso ausgeprägter das Lügenverhalten.

Macht verstärkt zudem die Scheinheiligkeit (Heuchelei): Machtausstattung führt zu mehr Lügen – und stärkerer Verurteilung der Lügen anderer.

Der stärkeren Lügenneigung Mächtiger liegt nach Experimenten ein Mechanismus zu Grunde, der unehrlichkeitsbedingten Stress abfedert – um so stärker, je mehr Macht vorhanden ist (Carney et al. 2018). Je weniger Lügen anstrengt, desto leichter fällt es. Machtinhaber täuschen mit weniger Anspannungsanzeichen – in emotionaler, kognitiver und physiologischer Hinsicht. Macht reduziert also die emotionalen, kognitiven und physiologischen Kosten der Täuschung – und erleichtert Täuschung dadurch.

Ehrlichkeit scheint also auch auf der Leitungsebene von Unternehmen nicht die Regel zu sein. Hat Wahrhaftigkeit bei alldem überhaupt einen Wert? Dazu mehr im nächsten Beitrag – zunächst aus philosophischer Sicht…


Ein Gedanke zu „Wahrheitsdividende (5) – Ein Blick auf die Führung“

Schreibe einen Kommentar zu lina Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert